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Texte zum Karst

Unser Karst (Zeitschrift)

Lehre und Kunst im Karst - das Festival KRASOPIS 
von Besim Gurda

Naš krš, XLIII, 56: 114–115, Sarajevo 2023.

 

Ende Oktober, vom 27. bis 29., haben wir am 2. Festival Krasopis teilgenommen, einem Festival, bei dem es um eine Verbindung von Lehre und Kunst im Zusammenhang mit dem Karst geht. Es findet in Tribalj bei Crikvenica im außergewöhnlichen Komplex des Hotel Village Balatura statt. "Entdeckungsreise" hieß eine der Veranstaltungen. So würde ich das ganze Festival bezeichnen. Schon allein die Einladung und die Haltung der Veranstalter ließ Interessantes vermuten, aber es stellte sich heraus, dass es die Vermutungen noch übertreffen sollte.

Ivan Lovrenović, dieser beeindruckende Mensch und Schriftsteller, der in jedem Augenblick mit unglaublicher Leichtigkeit die zutreffendsten Worte aus dem Ärmel zieht, führte uns in "Krasopis (Karstographie) ein und machte für den nächsten zwei Tage einen riesigen Eindruck. So ging es jedenfalls mir.

Es folgte eine ganze Reihe interessanter Veranstaltungen, allen voran ein Ausflug in den Karst und Judiths Geschichte mit den Pferden, dann Ivas Performance, bis hin zu Jessica's Buch über Ebby und Zdenkos Mythologie. Nach einer Serie von Kunst berichteten uns Nadja, Jelena und Jasminko  aus wissenschaftlicher Sicht vom Karst, jeder aus seiner Perspektive.

"Nature  Writing und Karst" mit Jan und Milan war auch ein Element, das ich besonders betonen muss, denn die Idee, den Karst "schreibend zu erforschen" fand ich interessant. Wir werden sehen.

Wir beendeten Krasopis, indem wir gemeinsam Ideen und Pläne mit besonderem Fokus auf  den Schutz und die Erhaltung des Karst entwickelten, was ja ohnehin immer unsere Mission ist. Alles in allem kann ich abschließend sagen, dass es eine außergewöhnliche Veranstaltung und eine einzigartige Gelegenheit war, neue Dinge zu lernen, die mit sich neue Freundschaften und Ideen brachten, die uns erweiterten, im wahrsten Sinne des Wortes!

Diese kurze Rezension zu beenden, ohne Anne-Kathrin und Ivo Lučić zu erwähnen, wäre sinnlos. Nicht nur, dass diese Veranstaltung unglaublich gut organisiert und geleitet haben, sondern es gelang ihnen mit ihren Fragen auch, aus jedem von uns das Beste herauszuholen. Und deshalb gilt ihnen hier, wie auch dem Team des Hotel Balatura, mein besonderer Dank.

PS: Alle Leute aufzuzählen und alle Eindrücke genau aufzuzeichnen, das ist auf einer Seite nicht möglich. Deshalb sollten sich, diejenigen, die ich jetzt nicht erwähnt habe bitte nicht ärgern. Lest einfach zwischen den Zeilen. 

Quelle:

1 Sportski i naučno-istraživački klub „Atom“, Pinkasa Bandta b.b., Zavidovići, e-mail: besimgurda@hotmail.com
Naš krš, XLIII, 56: 114–115, Sarajevo 2023.

https://www.centarzakrs.ba/bh/literatura/66-casopis-nas-krs.html

Vilenica

Rede anlässlich der Verleihung des Vilenica-Literaturpreises, der in der Höhle Vilenica vergeben wird
von Miljenko Jergović

Sehr geehrte Damen und Herren,

zunächst einmal muss ich mich bei Ihnen allen bedanken, dafür, dass Sie mich hier hergebracht haben. Und ich werde Ihnen im Geiste Scheherazades, so gut ich es vermag, eine Geschichte erzählen. Oder, besser gesagt, Sie auf tausend und eine unerzählte Geschichte aufmerksam machen, die an einem solchen Ort endeten. Zunächst einmal zum Handlungsort: wir befinden uns in diesem Augenblick am Fuße des Dinarischen Gebirges, einer 650 km langen karstigen Gebirgskette, die sich vom Fluß Soča und dem Trnovo Gebirge im Nordwesten bis zum Fluss Drin und zur Prokletija im Südosten erstreckt. Über dieses Gebiet sagt man, dass es eines der interessantesten und komplexesten Karst-Reliefe der Welt sei.

Neben den Uvalas und Dolinen, sind die Jamas (Karstschlöte) sicher eines der Grundelemente des Karstgebiets. Allein in Slowenien gibt es 14200  registrierte Jamas, wobei man allerdings von etwa 30 000 ausgeht.

Nicht alle sind so schön und groß wie diese, aber jede von ihnen, ob nun erforscht oder nicht, ist tief ins Bewusstsein dieser Kultur eingeschrieben.

Nun aber über das Personal unserer Geschichte: noch zu Zeiten, als wir dieses schöne Land zu besiedeln begannen, haben wir unsere Nachbarn an die Jamas geführt und sie dort umgebracht. In Zeiten von Tierepidemien haben wir dort die verendeten Kühe und Schafe hineingeworfen. In die Jamas warfen wir auch verstorbene Hunde. 

Im Zwanzigsten Jahrhundert fand unsere Geschichte ganz intensiv im Einklang mit der großen und furchtbaren Geschichte Europas statt. Allerdings mit einigen ganz besonderen Eigenarten. Während Europa mit Panzern, Jagdbombern und Kanonen Krieg führte, haben wir unsere Nächsten - meist unerwünschte Nachbarn - weiterhin an den Jamas ermordet. Sie waren uns etwas schuldig, so, wie wir ihnen auch etwas schuldig waren. Wir könnten jetzt natürlich sagen, dass unsere Nachbarn uns umgebracht haben, aber wäre das nicht eine offensichtliche Lüge? Wie können sie uns umgebracht haben, wir wir hier gerade ganz lebendig an diesem Ort stehen, die Nachbarn aber nicht? Weil wir am Leben sind, wir, sind wir die Nachkommen der Mörder und nicht die ihrer Opfer. Dem sollten wir auf jeden Fall Rechnung tragen.

Das Gewissen ist, so steht es in der Enzyklopädie, eine Ansammlung angenommener moralischer Vermutungen darüber, was gut, gerecht und erlaubt ist und was nicht. Der Unterschied zwischen Moral und Gewissen besteht darin, dass man an der Moral manipulieren kann, denn sie existiert auch dann, wenn sie niemand übertritt, ebenso dann, wenn sich alle übertreten. Das Gewissen ist etwas anderes. Das Gewissen meldet sich nur, wenn es gebrochen wird. Das Gewissen ist der Schmerz des menschlichen Selbstbewusstseins.

Wann immer wir an solch herrlichen Orten Menschen ermordeten, haben wir uns erfolglos versucht einzureden, die Nachbarn hätten uns großes Übel angerichtet. Oder noch besser als das, dass sie uns umbringen würden, wenn wir sie nicht umbringen. Aber hätten wir wirklich daran geglaubt, dann hätten wir sie doch auf  auf irgendwelchen städtischen Plätzen und vor den Augen der ganzen Welt ermorden können, oder? Wir aber brachten sie an die Jamas, um sie dann tot oder halbtot hineinzuwerfen, und dachten, unsere Nachbarn könnten so im Dunkel und Abgrund des Karsts verschwinden. Allerdings haben wir dann Jahre später, Generationen später aus ihnen die Stimmen gehört. Alle unsere Jamas sprechen heute die vergessenen und verlorenen Sprachen unserer verschwundenen Nachbarn, die aber nur wir hören können. Wenn man Ausländer an einen solchen Ort bringt, dann hören die nichts. Ist das nicht interessant?

Die Karst-Jamas sind unser versteinertes Gewissen. Die Jamas sind die Gewissen unserer Länder und Herkunftsorte, die sich zwischen zwei voneinander entfernten Flüssen erstrecken, der Soča und dem Drin. Die Literatur befasst sich im Allgemeinen mit der Erforschung des menschlichen Gewissens. Und angesichts dessen, womit sich Literatur befasst, sind andere Disziplinen geradezu machtlos: Geschichtsschreibung, Psychologie, Anthropologie, Soziologie.

Wir können unser Gewissen nicht aus dem entlassen, was wir getan, gesagt , aufgeschrieben oder gedacht haben. Wir können all die unzähligen Skelette unserer Nachbarn nicht aus unseren Jamas leeren. Aber vielleicht können wir im Einklang mit unserem eigenen Gewissen leben, indem wir jede dieser Geschichten erzählen. Wir tun das nicht, um uns zu rechtfertigen, auch nicht, damit uns vergeben werde.  Denn angesichts der Skelette macht Rechtfertigung ohnehin keinen Sinn, und das Gewissen wird, so lange es existiert, ohnehin nichts vergeben. Aber so lange es eine Eryählung von dem gibt, was passiert ist, dann sind der Tod und das Verunglücken nicht ganz umsonst gewesen. Vielleicht kann nur die Literatur Tote retten. Vielleicht, habe ich gesagt.

Danke, dass Sie mich an diesen Ort gebracht haben und dass Sie ich nicht umbringen werden, so wie ich Sie umgebracht habe. Ich bin nämlich Schriftsteller, der versucht, die Gründe, Emotionen und Neigungen derjenigen zu begreifen und zu rekonstruieren, die an den Jamas ihre Nachbarn umgebracht haben. Denn ohne das könnte es einem vorkommen, als seien unsere toten Nachbarn in einer elementaren Urgewalt umgekommen. Krieg ist aber keine elementare Urgewalt. Unser Hass ist keine Zyklonen-Wetterfront, die aus dem Westen kam. Man sollte tagtäglich an die Mörder denken, damit das Morden endlich aufhört.

Vielen Dank an Veno Taufer und an alle, die 1986 diesen mitteleuropäischen Literaturpreis ins Leben riefen, der an so einem wichtigen und eindrucksvollen Ort vergeben wird. Mein Dank auch an die Mitglieder der Jury, die entschieden haben, dass ich in die Reihe der Preisträger hineinpassen könnte.

Und Dank an die Vilenica-Höhle, die uns lebendig in sich hineingelassen hat.

www.jergovic.com

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Foto: Ana Bogišić

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